zum Dialekt

Jörg Beirer „SCHWOBAXANG“

Wie kam ich zum Dialekt – wie kam der Dialekt zu mir?

Geduldig wartet das Papier, es zeigt sich noch fast ganz leer. Ich versuche mich zu erinnern. Ich versuche eine Spur zu finden, eine Spur, einen Eindruck, den die Sprache irgendwann hinterlassen hat. Eine Erinnerung, die sich eingeprägte, ein kleines Stück von dem was hängengeblieben ist. Eine Erinnerung an ein Gefühl, an ein Lebensgefühl, an eine Umgebung, an die fortlaufende Auseinandersetzung mit und Aneignung des Schwäbischen in Wort, Schrift und Musik.

Einigen der Spuren und Erinnerungen gehe ich im Folgenden nach.

Gogenwitze

Ein ganzes Buch voller Witze, Sprüche und prallem Leben. Das hat mir als Kind so gut gefallen, dass ich viele Witze uswendig wusste und bis heute weiß. Besonders derbe Sprüche hatten es mir angetan, zumal sie eine starke Wirkung erzeugten. Das G-W-Büchle war mein ständiger Begleiter und so zerlesen wie es wurde steht es heute noch in meinem Bücheregal. Erst viel später,als ich in Tübingen studierte, wurde mir bewusst wie stark die „Echtheit“ der Gogenwitze durch den Herausgeber H.-E.Schramm und seinen Vorlieben geprägt war.

Lausbua

Eine liebe Erinnerung ist die an den Bruddler aus Südwestfernsehen, Werner Veidt.Dessen grossväterliche Stimme gemahnte mit sonorem Klang an stete Gelassenheit und ausgleichendes Wesen. Und zu Tränen rühren kann mich sein Erkennungslied: „I möcht‘ mal wieder e‘ Lausbua sein“. Tief im inneren Erleben entsteht ein Anklang an die Kindheit, an unbeschwertes Dasein, an sonnige Tage und jugendlichen Leichtsinn. Eigenartig wie dieses Lied eine innere Rührung verursacht. Eine tiefe Spur im Herzen hat es jedenfalls hinterlassen.

Schee

An einem herrlich verschneiten Wintertag fuhr ich mit mit meiner Freundin nach Pforzheim zum Kupferdächle um einer Vorstellung des Well-Done-Trietts beizuwohnen. Es standen verdrehte Schlager auf dem Programm und einer davon wurde auf Schwäbisch gesungen. Das Lied handelte von einem jungen Mann,der sich ein Haus, eine Frau und Kinder wünschte. Witzig war die Interpretation. Das Stück wurde mit allem Möglichen illustriert während der Gitarrist ganz unberührt vom Geschehen hinter ihm und von Vers zu Vers immer bluesiger werdend spielte. Am Schluss jeder Strophe stand der Satz: „Oh,dees wär schö“ Schwer beeindruckt von diesem mir bis dahin unbekannten schwäbischen Lied beschloss ich die Spur desselben zu verfolgen.In der „klingenden Heimat“ wurde ich fündig und es gefiel mir dann so saumäßig gut, daß ich es in mein Repertoire aufnahm. Es fehlt bei keiner Vorstellung. Manchmal singt das Publikum alle Verse mit. Otto Keller hat diesen Hit geschrieben und er trifft die schwäbische Seele in ihrer Sehnsucht nach Sicherheit und soliden Verhältnissen sehr genau. Also, erst wird das Haus gebaut, dann wird geheiratet und dann kommen die Kinder. Auf dieser Spur ist der Weg zur Bausparkasse nicht weit.

Wolle

Der Traum eines jeden Konsumenten im Schwabenland ist der neue Wagen vor der Tür, vorzugsweise ein Produkt heimischer Herkunft, und wenn es für einen Porsche nicht langt, tut’s auch ein Daimler. Die Vorfahrt ist schon im Grundpreis enthalten und der „Stern auf den wir schauen“ gibt dem Besitzer das gewisse Etwas.

Diese Situation, dieses Lebensgefühl beschrieb „Wolle“ Kriwanek sehr treffend in dem Titel: „I fahr Daimler,d Stroß gheert mir“.

Der nervtötende Rythmus der Produktionsmaschinen und das Ergebnis der Produktionsabläufe in Verbindung mit dem Stolz auf das Geschaffte. Autole baua. Autole fahra. Autole putza. Autole poliera. Autole verschrotta. Ein Kreislauf, den Wolle Kriwanek auf den Punkt brachte. Wir sangen als Jugendliche laut mit. Auch beim UFO und bei der Stroßaba‘.

Schrei es in die Welt hinein:
Ich will nicht beim Daimler sein!
Ich wandere in die weite Welt
mit frischem Mut auf freiem Feld.

Eine Spur,die auf direktem Weg den Konsumenten menschlich macht.

Xonga, g’schwolla ond areißa

Singen wird durch Nachahmung erlernt und das Gesungene bleibt dauerhafter im Gedächtnis. Wie sonst prägt sich ein Stück ein, besonders da wo alle mitsingen können? Mich beeindruckt, wenn ein Lied so gemacht ist, dass es jeder versteht einzustimmen. Bei der berühmten „Eiseba“ gibt es das Trullala und die nachfolgende Wiederholung der zwei letzten Zeilen. So kann man, auch ohne das Lied gut zu kennen, mittun. Meine Erinnerung an die Kindheit hat immer solche Momente besonders schön gemacht. Auch Singspiele wie das Konditionssingen nach dem ABC und eine Art Zimmermannsklatsch mit Huttausch gehören dazu. In meinem Programm sind solche Teile ganz wichtig. So bleibt die Spur des Schwäbischen eine Spur mit Bodenhaftung.

Als wir jungen Gymnasiasten einmal in einem Lokal saßen, unterhielten wir uns aus Jux ausschliesslich mit Fremdwörtern. Da wir so etwa zu zehnt waren, hörte es sich für die anderen Gäste so hochnäsig an, dass wir gebeten wurden das Lokal zu verlassen. Dies wäre bei feinem Schwäbisch nicht geschehen. Die Spur wäre erkennbar gewesen……

Gedichte haben Durchschlagskraft, wenn sie den Punkt treffen, der entweder weh tut oder eine Saite zum Schwingen bringt. So hat mich auf dem Marktplatz in Rottenburg der „Luftballo'“ von Sebastian Blau verzaubert. Es wurden bei der Straßenfasnet 2001 zum 100jährigen Gebutstag des Autors blaue Zettel mit dem „Luftballo'“ verteilt. Ein poetischer Augenblick inmitten des Narrentreibens.

Die Spur der wahren Narretei in den Rathäusern fährt schlussendlich das berühmte „areißa“ von Wilhelm König nach. Hier traf mich als Leser unmittelbar das Unbehagen in der Moderne in Reinform. Treffer! Versenkt!

Den Spuren auf die Spur zu kommen
ward das Gedächtnis angestrengt,
um auf das Schwäbische zu kommen
han i mi en mi selbscht neidenkt !

Jörg „SCHWOBAXANG“ Beirer

Erschienen in „schwädds“, Zeitschrift für Mundart, Nr.27/2008